Schreiben & Lesen
Nachdem ich die letzten Wochen einen extrem unguten Arbeitsrhythmus entwickelt hatte und vorgestern Nacht feststellte, dass die Menschen, die vor meinem Haus stehen, nicht etwa von einer Party kommen, sondern zur Arbeit gehen, musste ich etwas ändern.
Nachts zu schreiben hat einen großen Vorteil: Es ist ruhig, niemand ruft an. Es hat leider auch einen großen Nachteil – man verschläft entweder die darauf folgenden Tage oder verwandelt sich langsam in einen Zombie. Nichts gegen Zombies, aber ich kenne keinen bedeuteten Zombie-Autor, das spricht gegen weitere Nachtschichten. Vielleicht brauche ich auch nur eine Pause und einen gemächlicheren Rhythmus.
Zweiter Teil zweiter Abschitt in „On Wriiting“
Herzstück des Buches, also ist hier ein langsamerer Durchgang bestimmt sinnvoll. King startet mit einem Lieblingsstatment von Autoren, die nach Schreibratschlägen gefragt werden: “
If you want to be a writer do two things above all others: read a lot and write a lot.
Die kleine Schwester von dem Satz habe ich als Jugendliche von Ulrich Plenzdorf gehört: Man muss 1000 Bücher gelesen haben, um ein Buch schreiben zu können. Plenzdorf war ein ziemlich cooler Autor und dieser Spruch hat mich sehr beeindruckt. Lesen ist immer noch (geben wir es zu) ziemlich uncool und Viellesen erst recht. Da ich zu diesem Zeitpunkt den gesamten Kinder- und Jugendbuchbestand unserer Stadtbibliothek schon verdaut hatte, fühlte ich mich einigermaßen sicher, aber dann … meinte er wohl doch eher die Weltliteratur, die ich gerade erst anfing zu verschlingen. Und die war … anders.
King und lesen
King liest etwa 80 Bücher im Jahr, wie er sagt, nicht um seine Lernpflicht als Autor zu erledigen, sondern aus Freude am Lesen. Ich teile mit ihm die Meinung, dass jedes Buch einem irgendetwas beibringt und manchmal die schlechten lehrreicher als die guten Bücher sind. Ich bin in einem Haushalt aufgewachsen, in dem zwei Menschen Germanistik und Anglistik studiert hatten und einer Bücherwand mit Goethe, Schiller und Shakesspeare. Mein Vater wollte, dass seine Kinder Gedichte auswenig lernen, walle, walle, ich hatte meinen beeindruckenden Auftritt im Deutschunterricht, aber ich wusste auch, da ist noch mehr.
Heftchen und anderer Mist
Unter der Schicht von zweifellos genialer Literatur, gibt es all den Schund und Schmonz, der mich magnetisch angezogen hat. Vielleicht auch, weil er so verpönt war. Ich erinnere mich an einen Sommernachmittag als Teenager, es war still in unserer Wohnung (was selten war). Da lag der Stapel Fernsehzeitschriften mit diesen unsäglichen Fortsetzungsgeschichten über Ärzte, die sich in ihre Krankenschwestern verlieben (heute erledigen das Vampire) und reiche Großgrundbesitzer … ihr wisst schon. Ich habe also auf der Couch gelegen und ein Minimilk-Eis gegessen und einen Teil nach dem anderen dieser Geschichten gelesen. Zwischendurch habe ich mir immer mal wieder ein neues Minimilk-Eis geholt. Und ja, es war ein paradiesischer Zustand. Heute würde ich sagen: Sex mit etwas Geschriebenem und dabei an einem süßen Vanilleeis lutschen – okay, ihr könnt mir folgen.
King hat ein ähnliches Erlebnis mit einem grottenschlechten Science-Fiktion-Heftchen-Autor und das prägt. Wie schafft es der Autor, einen mit diesem Schund zu fesseln? Emotionales Schreiben, egal wie schlecht, ist ein gutes Geschäft. Aber es gibt noch einen guten Nebeneffekt: Man begreift sehr schnell, was man alles NICHT tun sollte, wenn man ein gutes Buch schreiben möchte.
Gute Bücher
Gute Bücher können einen einschüchtern, aber auch ermutigen, man studiert den guten Stil. Wobei ich glaube, ein Buch ist dann genial, wenn man nicht ganz genau sagen kann, was daran so großartig ist. (Sehen wir von Leuten ab, die Literatur studieren und für alles eine Erklärung finden.)
Nun ist es sehr viel leichter, einen Text eines anderen Autors zu beurteilen als den eigenen. Ich habe ein paar Sommermonate lang, im Rahmen eines Schülerprojekts, Schreibworkshops abgehalten. Ich bin kein Freund von richtig und falsch, ich fand, wer schreibt ist auf seinem Weg, der Rest kommt später. Ich habe also mehr über allgemeine dramaturgische Dinge geredet als über Spezielles.
Eigene und fremde Texte
Ich hatte einen besonders netten und aktiven Kurs, es waren drei Jungen dabei (schon sehr ungewöhnlich), sie schrieben lustige und abgedrehte Geschichten (Jungs eben) und die Mädchen – Liebesgeschichten. Ich habe da nicht eingegriffen und alle haben sich gleichberechtigt auf eine öffentliche Lesung vorbereitet. Im Vorfeld habe ich meine vorsichtigen Kommentare zu den Texten abgegeben, das lief per Mail. Und ich erinnere mich noch sehr genau, wie mir eines der Mädchen im Laufe diese Prozesses vollkommen erschüttert mailte, dass sie, nach gründlicher Beschäftigung mit ihrem Text, den Eindruck hätte, was sie mache wäre eigentlich sehr schlecht (nun ja …).
Jeder Autor kennt das, besonders am Anfang seiner Schreibkarriere. Wer sagt, er kennt das nicht, ist entweder mit einem übergroßen Ego gestraft oder noch in der ersten Verblendungsphase. Das einzige, was ich dem Mädchen sagen konnte, war: Ja, das gehört dazu. Herzlichen Glückwunsch, du hast die ersten Etappe zum besseren Schreiben erreicht.
Denn diesen Punkt muss man finden, egal wie schmerzhaft er ist. Und zwar ganz für sich alllein. So, wie einem niemand sagen kann, ob man sich in einen Idioten verliebt hat. Und Lesen hilft dabei. Oder mit King:
The more you read, the less you are to make a fool of yourself with your pen or wordprozessor.
No Comments