Schloss Wiepersdorf
Vor ein paar Monaten war abzusehen, dass enorm viel Schreibzeit auf mich zukommen würde und ich mindestens drei Monate ausschließlich Zeit dafür brauchen werde. Ich sah Berghütten vor mir, Hotelzimmer, abgelegene Dörfer. Ich spielte mit dem Gedanken, mich in Gülpe einzuquartieren (dunkelster und auch ruhigster Ort von Deutschland), oder einfach nur gegenüber in das Bed & Breakfast zu ziehen und so zu tun, als wäre ich weg. „Katrin? Keine Ahnung, die ist ins Ausland gefahren und kommt erst in drei Monaten wieder.“ Irgendwann in dieser Zeit muss ich mich dann wohl auf dieses Arbeitsstipendium auf Schloss Wiepersdorf beworben haben.
Arbeitsstipendium
Als ich den Anruf bekam, dass ich mich für drei Monate auf Schloss Wiepersdorf zurückziehen kann, hatte ich die Sache schon fast wieder vergessen. Tja und nun bin ich hier. Seit März. Mitten in der gewünschten Einöde, ganz royal in einem Schloss. Trotz offiziellem Frühlingsanfang liegt der Garten noch im Winterschlaf, sind alle Skulpturen winterlich in grünen Holzkästen versteckt, genauso wie die Pflanzen in der Orangerie. Trotzdem stellt sich schon ein erhabenes Gefühl ein, wenn man durch den Schlossgarten wandelt oder sich im Schloss in goldumrahmten Spiegeln betrachtet.
Stop. Moment mal. Was passiert gerade? Nimmt meine Sprache auch schon einen Goldüberzug an, ziert sich, beschreibt manieriert, verlustiert, galant, pittoresk, grotesk. Fuck it. Nope. I have some hard stuff to write. Ich muss mich einleben. Ein Mitstipendiat leiht mir ein Buch über Wiepersdorf. Darin finde ich einen Brief von Bettina von Arnim, die hier gewohnt hat und, tja, begraben ist. Lese: „Das Schreiben vergeht einem hier, wo den ganzen Tag, das ganze liebe lange Leben nichts vorfällt, weswegen man ein Bein oder einen Arm aufheben möchte. Ich kenne keine Geschäft, was den Kopf mehr angreift als gar nichts tun und nichts erfahren …“ Okay. Wait a minute. Könnte es sein, dass die Sache nach hinten losgeht? Ich hier noch viel weniger mein Schreiben auf die Reihe kriege?
Bettinas Rat
Ich rufe Bettinas Geist heran, ich spüre so etwas wie eine Wahlverandtschaft. Ich verstehe sie. Denn, wenn ich ehrlich bin, dan h**** ich das Landleben, ich brauche die Stadt. Wir verabreden uns am Ententeich. (Ihr Vorschlag.) Wir sehen den Enten beim Rumschwimmen zu. Das macht man hier wohl so, wenn kein Bankett oder eine royale Party ansteht. Und, hey, denke ich, Holden Caulfield, ich weiß jetzt, wo die Enten aus dem Central Park im Winter hinziehen. Hier gründeln sie.
„Tja“, sagt Bettina. „Weshalb denkst du, habe ich dich hierhin mitgenommen und nicht in die Orangerie?“ „Weil sie noch zu ist?“ „Unsinn, ich kann durch Wände gehen.“ „Aber …“ „Es geht nicht, darum, was ich kann oder du, sondern die Enten.“ Langsam begreife ich. Stadt – Land. Was die können, kann ich auch. Hier dümpeln und wenn es wieder warm wird, geht es zurück in die Stadt. Bis dahin schreibe ich – da man hier eh nichts anderes machen kann. Also genial. „Und immerhin hast du Internet!“, sagt Bettina. „Jawoll!“
2 Comments
Uwe
2. April 2015 at 2:24That’s literally literature.
Und ich bin sicher, dass Bettina sehr froh ist mal wieder so spritzigen Besuch zu haben.
Katrin
2. April 2015 at 11:13Ja, wir hängen ständig miteinander ab. Rebellisch, ehrgeizig, weitverzweigt. Von ihr kann ich eine Menge über das Netzwerken lernen.