New Adult
Manchmal frage ich mich, wie alles begann und warum ich dieses Sub-Genre New Adult so liebe, das um 2013 von den USA als Genre-Phänomen nach Deutschland kam und erst die Bestsellerlisten und dann die Schreibvorlieben der deutschen Autor*innen erobert hat.
Vermutlich, weil ich glaube, dass hinter diesem Sub-Genre mehr steckt, als nur ein neues Bestsellerphänomen oder zumindest sehr viel mehr stecken könnte.
Wie ging es los?
Wie kam es überhaupt zu der Bezeichnung: New Adult? Ich habe dazu schon 2014 einen Beitrag auf der Red Bug Culture-Website geschrieben, denn New Adult fasziniert mich schon eine Weile:
Das Subgenre wurde 2009 von der St. Martins Press „erfunden“, um schon existierende Stoffe neu einzuordnen und besser herausstellen zu können. Die ersten Autor*innen waren Anglo-Amerikaner*innen.
Es hat sich anfänglich aus dem Genre der Contemporary Lovestory, zwischen Young Adult und Chic-Lit herausgebildet und die meisten Titel sind Liebesgeschichten. Wenn man so will, existiert das Genre ja auch schon, es wurde nicht erst erschaffen sondern nur von Young Adult und Erwachsenen Literatur abgegrenzt.
Wer das ganz ausführlich möchte, dem empfehle ich den Artikel von Emma Stewart über das Phänomen New Adult (in Englisch). Ich habe die PDF auf meinen Blog gelegt. Hier zum Download.
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich, als ich 2013 die Bücher von Abbi Glines und Jamie McGuire gelesen habe, zwiegespalten war. War das … anders verpackte Erotik? War das Schund? Aber dann gab und gibt es excellent geschriebene New Adult-Bücher, die verdienen, Teil der Pop-Kultur zu werden. Mir fiel auf, dass die Bandbreite sehr groß war. Was sie alle verband: Es wurde offen über Sex geschrieben, wenn es um Begegnungen von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen ging. Kein fade to black. Und das fand ich erstmal wichtig. Die ersten New-Adult-Bücher wurden in Deutschland zwar für Erwachsene vermarktet (Stichwort Warengruppe), aber die Protagonist:innen waren jung, meist noch nicht volljährig (zumindest nach amerikanischen Recht). Also war das für mich Literatur für junge Erwachsene, für Jugendliche.
Mir gefiel auch die hohe Emotionalität der Geschichten, denn das Jugendbuch wird ansonsten hauptsächlich von „Themen“ beherrscht. Kopf statt Bauch. Starke Gefühle zu zeigen, sie intensive zu beschreiben, hat man eher und besser den Romance-Autor:innen überlassen. Das zeitgenössische Jugendbuch – seit 2005 meine Schreibdomain – sollte sich lieber sachlich mit „Problemen Jugendlicher“ auseinandersetzen (siehe die Regale in euer Bibliothek.)
Jugend und Körper
Es hat mich immer schon gestört, dass die Pubertät offenbar eine Zeit ist, die von vielen Erwachsenen gerne klein gemacht wird. Die Zeit, in der die Kinder komisch werden und peinlich und zu lächerlichen Puber-tieren werden und eine Menge Probleme haben, die man dann in Unterkategorien von Sucht, Sex, Stress, Depression aufteilen kann. Denn, hm, waren wir nicht alle mal selbst an diesem Ort?
Klar, hier passiert viel, mit dem Gehirn und dem Körper und das muss erstmal verkraftet werden. Besonders heftig ist es für Mädchen. Jungs bekommen Muskeln und Bartwuchs und damit Zeichen von Power, Mädchen weiche Brüste und Rundungen, die sie verletzlicher und angreifbarer machen. In dieser Zeit beginnt die Phase der große Verunsicherung: Bin ich schön genug? Zu dick, zu dünn und so weiter.
Das sind wichtige Themen im Jugendbuchbereich, doch leider werden sie meist erst dann aufgegriffen, wenn es schon „zu spät“ ist. Wenn es ein Problem geworden ist wie Magersucht oder Depression. Auch SickLit genannt. Denn Krankheit erlaubt einem Mädchen (fast immer sind kranke Mädchen die Protagonist:innen) ihre letzten Wünsche zu äußern und endlich zu sagen, was sie wirklich will. Aber warum muss man erst krank werden, um zu wissen, was man will? Ist das die message? Und kann New Adult hier etwas ändern?
New Adult – was und für wen?
Wie war das denn am Anfang? Wie ging es auf dem deutschen Buchmarkt los mit New Adult? Am Anfang – ich spreche hier von 2013/14 – gab es die eher erotischen New-Adult-Bücher, die damals noch nicht als New Adult vermarktet wurden und die bei z.B. Piper auch gerne in der Erotik-Abteilung erschienen. Junge Protagonist:innen zwischen 20 und 25, das Mädchen fast immer noch Jungfrau, der Mann dagegen erfahren und Typ Badboy.
Aber es gab ja auch schon „Twilight“, ein Jugendbuch, das die Tür zu mehr Emotionalität aufgestossen hatte. Allerdings extrem prüde mit Sex umging. Das hat dann Frau James mit Shades of Grey (ehemals Fanfiction zu Twilight) geändert und Licht ins Dunkel gebracht. Seeehr viel Licht. Irgendwie schien Zu-wenig- zu-viel ein Thema zu sein. Und auch die Frage, wo sich die richtige Zielgruppe für diese Bücher befand oder befindet, war unklar. Während Twilight Autorin Stephenie Meyer der Meinung war, sie schriebe ein Erwachsenenbuch (und ihre Agentin sie dann sanft überzeugt hat, dass das doch eher in die Jugendabteilung gehört), hat Frau James mit einem kindischen Schreibstil den Erwachsenenmarkt erobert. Was war da los? Oder was ist da los, denn immer mehr Erwachsene lesen gerne Jugendliteratur und New Adult. Und viele sagen: Es muss gar nicht anspruchsvoll sein. Ich will meinen Kopf ausschalten.
Und die Jugendlichen? Ich kenne keine Jugendlichen, die ihren Kopf ausschalten wollen, ganz im Gegenteil. Sie wollte allerdings auch nicht immer nur im Kopf sein. Besonders dann nicht, wenn sie in die Pubertät kommen. Natürlich wird Sex ein Thema und zwar ein Großes. Und irgendwie kann uns allen weder Stephenie Meyer noch Frau James und Shades of Grey wirklich weiterhelfen, wenn es um die Frage nach gutem Sex geht.
Es ist interessant, dass New Adult immer noch zwischen den Bereichen oder Warengruppen Jugendbuch und Erwachsenenbuch hin- und herwabert.
Sex sells … und mehr
Wir leben in einer Zeit, in der immer offener mit Fragen zu Sex umgegangen wird. Das ist gut, aber nicht alles ist so, wie man es als unerfahrene Sexanfängerin braucht. Alles wird aufgedeckt und untersucht, Vaginen prangen auf Buchcovern. Super! Aufklärung!, möchte ich gerne rufen und finde ich sehr positiv, weiß aber gleichzeitig, dass mich das als Teenagerin ungefähr so abgetörnt hätte, wie die Vorstellung vom Sex meiner Eltern. Ich will es schon wissen, aber bitte nicht wie im Sexualkundeunterricht vorgehalten bekommen.
Das Thema Sex in Büchern – und ich meine guten Sex, also „Liebe machen“, beschäftigt mich seit ich als pubertierende Leserin einfach keine Bücher finden konnte, die mir liebevoll und emotional, aber gleichzeitig realistisch und sachlich sagen konnten, wie das geht mit diesen beiden Körpern. Ich war mir nicht sicher, ob ich Frauen oder Männer liebte, so sehr hat mich das alles verwirrt. Und nirgendwo gab es Antworten. Als ich – eher aus Zufall – Jugendbuchautorin wurde, wollte ich das ganz bestimmt ändern. Eine Sexszene zu schreiben ist sicher nicht dass, was man sich wünscht, wenn man morgens aufsteht, übermüdet die Kinder zur Schule fährt oder den Abwasch macht. Oh, und nachher noch die Sexszene schreiben. Ich lernte, dass auch das eine Kunst ist, über die sich übrigens schon einige Autor*innen den Kopf zerbrochen haben. Zum Beispiel Diana Gabaldon.
Als dann mein erstes Jugendbuch (Radio Gaga) 2005 herauskam, gab es Kritik für eine explizite Sexszene von Lehrerinnen, aber Schüler:innen forderten auf Lesungen immer genau diese Szene ein. Was lief da schräg? Ich fand es wichtig, eine gute Sexszene zu schreiben, damit nicht immer mehr schlechter Sex „ausprobiert“ wird, an dem dann am Ende wohl eher die Mädchen leiden würden. Aber warum hatten einige Erwachsene so viele Probleme damit?
Nun, New Adult enthält Sexszenen. Selbst, wenn viele New-Adult-Bücher heute nicht in der Erotikabteilung stehen, scheint eine Sexszene dazu zu gehören und findet sich dann meist als Höhepunkt in der Mitte und/oder am Ende des Buches. Klar, wenn es in der Geschichte stark um Sex geht, dann hat der auch eine dramaturgische Funktion.
Heißt: Das Zusammenkommen der Partner – auch körperlich – ist dann tatsächlich ein Höhepunkt/Klimax im Buch und das würde ich auch so schreiben. Anmerkung: Wenn ich lese, dass ein sex-unerfahrenes Mädchen einem Jungen beim ersten Sex den Rücken aufkratzt, dann muss ich das Buch sehr weit wegwerfen und einfach mal hoffen, dass niemand glaubt, was da steht.
Dass Sex in Büchern nicht immer so wie im Leben sein muss, ist natürlich klar. Trotzdem ist es vermutlich sowohl für Mädchen/Frauen als auch Jungs/Männer frustrierend, sich mit diesen Sexgöttern zu messen, die immer Lust haben, ständig feucht und hart sind und auch keine Problem damit haben, jemanden sofort und am besten ganz eng heranzulassen. Und wenn es dann mal etwas ruppiger zugeht – so sind sie halt, die Badboy. Eyyyy – nein!
(Zum Thema: Inhalte und besonders zu Sex in New-Adult-Büchern hier mehr oder hier, oder hier, denn in den USA wird darüber schon länger diskutiert.)
Feminismus und New Adult
Es tut sich was in Richtung Feminismus. Auch sehr schön. Die dritte Welle der Frauenbewegung lebt. Allerdings ist auch sie nicht unbedingt in vielen New-Adult-Büchern zu finden, was ich extrem frustrierend finde. Ganz klar verkaufen sich zurzeit (nicht nur) die NA-Bücher besser, die ein konservatives Männer- und Frauenbild zeigen. Heterosexuell, versteht sich. Bücher, die sich mit anderen Lebensweisen und Vorlieben, gleichgeschlechtliche Liebe oder oder beschäftigen, landen in Nischen. Argumente der Verleger*innen und Selfpublisher:innen: Die Frau/Leserin – will es ja so, also warum etwas anderes schreiben?
Viel New Adult orientiert sich eher an den konservativen Leser:innen, die kleine Abweichung im üblichen Beuteschema – Jagd, Fang, Sex, Hochzeit – sofort registrieren und mit verhaltenen Käufen abstrafen. Hier muss natürlich auch jede Autor:in eine Entscheidung treffen, ob ihr der Inhalt oder das Auskommen wichtiger ist. Und welche Leser:innen sie ansprechen möchte.
Eine Autorin erzählt (in einem Podcast), sie hätte ihre ersten New Adult-Bücher (unter Pseudonym) nur aus Gag geschrieben und dafür einfach mal alle Klischees zusammen gepackt. Ha, ha. Outch! Denn – wenn ich mich recht erinnere, waren es genau diese NA-Bücher der Autorin, die schließlich so gut liefen, dass ihr danach ein Verlag die Möglichkeit für „andere“ Bücher gegeben hat. Ein erfolgreiches Format wie New Adult mit Klischees zu überfrachten und für den Einstieg in den kommerziellen Buchmarkt zu nutzen, ist ein schlauer move, aber er verbessert nicht den Ruf dieses Genres und das ist schade.
Sind wir Jugendbuchautor:innen gezwungen, uns früher oder später von New Adult zu distanzieren? Ist es dann doch so schmuddelig, das man besser nur unter Pseudonym schreibt und später am besten alles aus dem Verlauf löscht? Ich denke nicht. New Adult braucht nicht noch mehr Trittbrettfahrer mit Klischeestories oder Autor*innen, die es nur benutzen, um danach – endlich – etwas Richtiges zu schreiben. New Adult braucht mehr Autor:innen, die aus dem mittlerweile stark strapazierten Klischees ausbrechen.
Nebenbei bemerkt: Leser:innen sind unsere Fans/Follower/Käufer:innen/Kunden. Wir sollten sie achten und ernst nehmen. Ich glaube auch, dass wir als zeitgenössische Jugendbuch-Autor:innen, (egal ob im Young oder New Adult-Bereich), eine Verantwortung den Leser:innen gegenüber hat. Oder vielleicht sogar als Autor:in überhaupt, aber das ist eine andere Diskussion.
Frauen-Literatur
Das Thema Frauen-Literatur und Frauen in der Literatur (von Männern) beschäftigt mich schon lange, sogar länger, als das Thema Frauen in der Kunst und ihre Darstellung. Ich plane eine Blogreihe über die Rezeption von „Frauenliteratur“ aka Romance//New Adult, die mich in Euphorie versetzt, seit ich immer mehr Autorinnen finde, die das Thema ähnlich leidenschaftlich beschäftigt. Denn die Herabsetzung des Liebesroman-Genres hat Geschichte und tiefe Wurzeln, die bis in die Konstruktion von Geschichten gehen. Stichwort Hero’s Journey. Aber dazu in späteren Blogbeiträgen mehr.
Denn leider ist es bis heute richtig, dass, wer nicht nur materiellen Erfolg haben, sondern auch Preise und Anerkennung im Literaturbereich bekommen möchte, schneller und besser mit „anspruchsvollen Themen“ ans Ziel kommt. So steigt man hoch auf der (männerdominierten) Erfolgsleiter und das andere ist … Frauenkram. Kinderkram. Pubertär. Bücher, die bestimmte Literaturkritiker lustvoll in die Tonne treten oder rollen lassen. „Sogar“, wenn sie von Männern geschrieben werden.
Ein neues New Adult
Es gibt sie wohl immer noch, die Lücke im Buchmarkt, zwischen Jugendbuch und Erwachsenen-Literatur. Bücher für Menschen, die merken, dass Erwachsenwerden mehr bedeutet, als sich körperlich zu transformieren und Sex, einen Job, ein Auto, ein Haus, eine Partner:in zu haben.
Junge Erwachsene, deren Träume über eine materielle Erfüllung hinausgehen. Die nach Orientierung suchen, auf allen Gebieten und denen mit Klischees nicht geholfen ist.
Meine Hoffnung ist, dass ein progressives New Adult sie schließen kann. Warum? Weil es tatsächlich zu viele junge Menschen gibt, die vom Erwachsenwerden überfordert sind und unter Depressionen, Magersucht, Sucht etc, leiden. Wir sollten sie alle ernst nehmen, die Quarterlife Crises, und ich gehe davon aus, dass wir sie alle in der ein oder anderen Form erlebt haben.
Die so genannte Quarterlife Crisis (QLC) bezeichnet einen Zustand der Unsicherheit im Lebensabschnitt nach dem „Erwachsenwerden“, der in etwa im Alter zwischen 21 und 29 auftritt, der Endphase des ersten Lebensviertels. Der Begriff wurde in den USA 1997 in Analogie zur Midlife Crisis gebildet. (Quelle)
Bücher sind nicht immer die beste Lösung für dein Leben. Richtig. Musik, Freunde, Familie, Sport, Kunst und Kreativität sind andere oder weitere Wege. Vielleicht sogar bessere. Aber als Autorin glaube ich an die Kraft der Literatur.
Let’s dream.
xoxo
Katrin
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