#33 Frauen

33 Frauen – #7 Janet Goodrich

25. Mai 2022
Janet Goodrich
Janet Goodrich

Janet Goodrich #33 FrauenDr. Janet Goodrich war eine amerikanische Sehlehrerin und Psychologin, sie ist 1942 in Michigan geboren und 1999 gestorben.

Ich nehme an, das niemand das Wort Sehlehrerin schon einmal gehört hat und im Deutschen existiert es auch nicht wirklich. Das ist  interessant, denn wenn ich als Kind gewusst hätte, dass es Menschen gibt, die anderen das Sehen beibringen oder mir Augenärzt:innen davon erzählt hätten – ja, wer weiß.

So musste ich sie selbst herausfinden. Janet Goodrich ist eine Frau, die mich beeindruckt hat und sie passt gut zur übrigen Gruppe der Frauen, weil sie mit Leidenschaft für etwas einstand, das andere für gegeben oder unwichtig hielten. Wie sehen Menschen? Warum werden sie kurz- oder weitsichtig? Wie kann man das ändern, beheben?

Janet Goodrich #33 FrauenSie war nicht die Erste, die das machte, auch nicht die erste Frau, aber etwas an der Art, wie sie über das Sehenlernen schrieb war neu und liebevoll für mich. Als ich Ende der 80er ihr Buch entdeckte  – Janet Goodrich: Natürlich besser sehen, Freiburg  1989 – hatte ich schon einige Bücher über das Sehenlernen gelesen, mich intensiv damit beschäftigt und auch schon einige Übungen in meine mögliche Lebensroutine aufgenommen. Denn – ja, ich bin betroffen.

Kurzsichtig

Ich bin kurzsichtig. Oder sollte ich sagen … war kurzsichtig? Hm.

Für die meisten Menschen ist es ganz selbstverständlich, dass sie eine Brille bekommen und tragen, wenn sie schlechter sehen – egal ob in der Nähe oder Ferne. Für mich war es das nicht, als ich mit neun oder zehn beim Augenarzt saß. Mein Vater hatte mich hingebracht, vermutlich weil er auch eine Brille trug und meine Mutter meinte, Brillenträger müssten sich verstehen. Ist wohl so. Denn sie haben viel gemeinsam, aber das verstand ich erst später.

Überhaupt – ist schwachsichtig zu sein, eine Krankheit? Etwas, was behoben werden muss, korrigiert? Wie ein gebrochen Bein oder ein schiefer Zahn. Wir richten ihn wieder. Nein. Niemand geht davon aus, dass man jemals von einer Brille geheilt wird. Irgendwie gehen sogar alle davon aus, dass man von Jahr zu Jahr schlechter sieht, wenn man einmal damit angefangen hat, eine Brille zu tragen. Also eher, als ob man jemandem mit einem gebrochenen Bein eine Krücke gibt und sagt: Tja, damit musst du wohl demnächst laufen, weil dein Bein … nix gut.

Janet Goodrich
Ich verstand das nicht. Wieso ging das nicht wieder weg? Mit Brille fand ich mich außerdem blöd, ich wollte sie nicht tragen, auf keinen Fall. Der Augenarzt sagt irgendwas von „Vererbung“, viele sagten, ich ähnele meinen Vater, also schien es logisch. Fühlte sich nur nicht so an. Ich spielte Fußball mit meinen Brüder, ich rannte herum, Brille ging einfach nicht.

Also trug ich meine Brille – nicht. Tat einfach so, als existierte sie nicht. Allerdings sah ich nicht gut und irgendwann fiel das auch auf. In der Schule zum Beispiel. Man setzte mich in die erste Reihe und selbst da ging es dann irgendwann nicht mehr. Und ich gab auf. Okay, dann trag ich meine Brille eben. Meistens. Aber ich hasste sie. Immer.

Sehen lehren

Wie sieht die Karriere einer Sehlehrerin aus? Janet Goodrich ist in Michigan aufgewachsen, sie bekam mit 7 Jahren ihre erste Brille gegen Kurzsichtigkeit und Astigmatismus und sie trug sie die folgenden 20 Jahre. Wenn ich mir das Fotos von Janet Goodrich ansehe, dann verkenne ich das. Oder wahrscheinlich jeder. Kurzsichtige sehen nicht gerne in die Kamera, der Blick ist scheu. Die kokettieren nicht, auch nicht auf Bildern, auf denen sie offen und freundlich erscheinen sollten, damit Menschen ihr Buch kaufen. Sie wirken eher schutzlos ohne Brille. Denn das ist eine Brille auch, ein Schutz.

Goodrich studiert in Michigan Fremdsprachen. Philosophie und Verhaltenspsychologie, eine interessante Mischung. 1967 zog sie nach Kalifornien und beschäftigte sich mit den Theorien von Wilhelm Reich, mit natürlichen Geburtspraktiken und alternativer Kindererziehung und mit der Bates-Methode. Und alles gehört sehr eng zusammen.

Bates -Methode? William Bates war Mediziner und der erste Sehlehrer überhaupt. Er entwickelte in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts Sehübungen, die man noch heute in allen alternativen Sehschulen findet. Er schrieb das Buch: Rechtes Sehen ohne Brille. Er war ein Pionier. Doch sogar wenn man den Wikipedia-Eintrag unter Augentraining nach Bates liest, dann findet man dort mehr Skepsis als Anerkennung für jemanden, der die unglaubliche Entdeckung gemacht hat, das Sehen keine körperliche und angeborene Fehlstellung ist, sondern eine anerzogene oder antrainierte Fehlhaltung, die mit Emotionen, Gedanken und körperlichen Verspannungen zusammenhängt. Da könnte ich jetzt viel drüber schreiben, aber das führt sehr weit weg von Goodrich. Oder, nein, eigentlich direkt zu ihr hin.

Kurzsichtig

Okay, wer hört gerne, dass er verkrampft und umentspannt ist? Keine/r, die eine Brille trägt. Denn Kurzsichtige sind sehr oft kleine Besserwisser. Ja, auch du, Harry Potter. Und sie sind eher ängstliche und introvertierte Menschen.

Wenn wir von kurzsichtigen Menschen reden, dann meinen wir, dass sie nicht das ganze Bild im Auge haben und – auch richtig. Nicht nur optisch, sondern ganz allgemein. In Erzählungen machen wir Brillenträger gerne zu den Schlaumeiern, die etwas verklemmt sind, Kinder oder Erwachsene, denen man erst zeigen muss, wie sie aus sich herausgehen können: Leg die Brille ab, öffne dein Haar! Viele Klischees, aber ein wahrer Kern. Ganz sicher wollte ich nicht so ein Mensch sein, als ich in die Pubertät kam. Da wollen wir alle sexy und locker sein, begehrt werden und die Haare im Wind flattern lassen.

Und – wundersamerweise erfüllte sich der Traum Nun ja, nicht ganz. Mit 16 bekam ich – Kontaktlinsen. Nicht nur das, nach den Ferien tauchte ich mit neuem Haarschnitt in der Schule auf, störte mich nicht mehr daran, dass meine alten Schulfreundinnen mir keinen Platz freigehalten hatten, ließ das hässliche Entlein hinter mir und wurde ein (schüchterner) Schwan. Das fühlte sich nach einer Lösung an – doch das war es nicht.

Ganzheitliches Sehen

Janet Goodrich
1975 errichtete Goodrich das Vital Health Zentrum in Los Angeles mit dem Schwerpunkten: Verbesserung der Sehkraft auf natürliche Weise, Chiropraktik und Ernährungsberatung und leitete es bis 1983. Nach einer Vortragsreise durch Australien und einer intensiven Traumerfahrung, zog sie nach Melbourne, wo sie Lehrer:innen für natürliches Sehen ausbildete.

Was Goodrich herausgefunden hatte, fand auch ich heraus. Sehen ist ein ganzheitlicher Vorgang. Ihn zu korrigieren, ob mit Brille oder Kontaktlinsen ist nur eine Krücke. Das eigentliche „Problem“ liegt tiefer.

Sie fand heraus, dass Menschen besonders in stressigen Zeiten, vor der Fahrprüfung, in der Pubertät, unter extremer Belastung – kurzsichtig wurden. Und das es meist die Menschen sind, die eher zurückhaltend und introvertiert sind, die also ihre Gefühle nicht herauslassen, die kurzsichtig werden. (Kurzsichtige Menschen unterdrücken Angst, weitsichtige Wut.) Daran musste man eben auch arbeiten, um besser sehen zu können: Der Psyche.

Also ging es in ihrem Buch nicht nur um das Trainieren der Augenmuskeln – was auch gut und schön ist – sondern vor allem um die Veränderung von Verhaltensmustern und Angewohnheiten. Uff.

Unterdrücken oder Ansehen

Ich hätte mich dem allen wohl nicht gestellt, wenn ich nicht gemusst hätte. Anfang der 80er Jahre lebte ich in einem besetzten Haus mit 40 Menschen zusammen. Niemand hielt mich für schüchtern, ich war es auch nicht (mehr). Doch die 80er Jahre waren die Jahre, in denen man in Kneipen rauchte und auf Demos mit Tränengas auf Demonstranten schoß. Meine weichen Kontaktlinsen saugten das alles gierig auf, schützen mich im ersten Moment vor tränenden Augen, doch saugen sich auch an meinem Augapfel fest und unterbanden die Zufuhr von Sauerstoff zum Auge. Kleine rote Äderchen bildeten sich neben meiner Iris und versuchten auf anderen Wegen mein Auge mit Sauerstoff zu versorgen.

Als ich endlich zum Arzt ging, da ich meine Kontaktlinsen immer schlechter vertrug, bekam ich eine beängstigende Ansage: ich würde meine Augen schädigen oder sogar erblinden, wenn ich nicht auf eine Brille umsteigen würde. Auf einmal wurden Augenübungen mein einziger Ausweg, wenn ich nicht wieder auf die Brille umsteigen wollte. Also – nach Goodrich – eine Verhaltensänderung, die noch weiter gehen musste.

Natürlich besser sehen

Das Buch „Natürlich besser sehen“, hat viele Zeichnungen, von denen ich einige hier über den Text verteilt habe. Das Buch strahlt etwas sehr Entspanntes aus. Dazu trägt auch die offene und liebevolle Art von Goodrich bei, über das Sehen lernen zu schreiben. Sie ist nie überheblich, der Ton einfach. Keine langen wissenschaftlichen Abhandlungen über das Auge, keine Fakten, die man sich nicht merken kann und die man auch gar nicht wissen will. Fast hatte ich das Gefühl, ich lese ein Kinderbuch.

Sie war eine Vorreitern, denn heute haben wir uns daran gewohnt, dass Darm mit Charme uns auf eine unterhaltsame Reise nimmt und interessanterweise erinnern die Bilder in diesem Buch mich an die Bilder in Janets Goodrichs Buch über das Sehen lernen. Okay, ich hasse diese Art von Bilder, weil sie putzig, niedlich und ungelenkt aussehen, aber genau das sollen sie. Die Angst davor nehmen, dass man hier etwas Falschmachen kann und das ist eine große Angst von Kurzsichtigen

Janet Goodrich hat mich ein gutes Stück auf dem Weg zu besserem Sehen begleitet. Der Weg ging und geht immer weiter, auf den nächsten Etappen hat mich eine andere Frau weiter begleitet, über die ich später noch berichten werde.

Für Janet Goodrich habe ich den Hashtag #klar ausgewählt. Sie hat mir einen großen Teil meiner Klarheit zurückgegeben und mir enorm viel über mich selbst klar – gemacht. Danke dafür!

 

Alle Bilder aus dem Buch: „Natürlich besser Sehen“.

 

 

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