Ilse-Charlotte Kaufmann
Die Blogreihe #33Frauen (mehr dazu) handelt von 33 Frauen, die mich in der Frage wie man Kunst, Kinder, Karriere und eine gute Beziehung harmonisch und glücklich in sein Leben integrieren kann, inspiriert haben. Und ich beginne – mit meiner Mutter, Ilse-Charlotte Kaufmann.
Ich bin ein wenig aufgeregt, da mir klar geworden ist, dass ich vor dieser Blogreihe noch nie so offen, persönlich und öffentlich über mich oder meine Einstellung zum Leben, zu Kunst, Politik und Gesellschaft gesprochen habe. Aber – darum geht es wohl in dieser Blogreihe und ganz allgemein beim Schreiben. Und, dass ich mit meiner Mutter beginne, macht es nicht unbedingt leichter.
Ille
Meine Mutter hat den Namen meines Vaters angenommen, hieß also Bongard. Doch sie wurde von allen nie Ilse-Charlotte, sondern immer nur Ille genannt. Ich will hier trotzdem mit ihrem vollständigen Vornamen und ihrem Geburtsnamen über sie reden, da er für mich die größere Einheit ist. Der Name, der ihr Leben vor der Ehe einschließt. Die jüdischen Wurzeln, ihren künstlerisch begabten Vater.
Ich dachte eigentlich, dass ich diesen Beitrag am besten am Muttertag herausbringe, doch meine Mutter war kein großer Fan des Muttertags. Wahrscheinlich hat sie ihn gehasst. Und damit ist schon viel über sie gesagt. Sie hatte eindeutige Meinungen zu Menschen, Politik, Kunst und Kultur. Und auch zu Institutionen oder Traditionen.
Ich habe mich als Kind oft gewundert, wenn andere (Ehe-)frauen/Mütter keine Meinung hatten. Da kenne ich mich nicht aus. // Da weiß ich nicht Bescheid. //Dazu habe ich keine Meinung. So etwas gab es bei uns nicht und das lag an meiner Mutter. Sie hatte eine Meinung. Überhaupt habe ich erst beim Scheiben dieses Blogbeitrags bemerkt, in wie vielen Aspekten ich von ihr beeinflusst worden bin und was sie mir alles – ganz unauffällig – beigebracht hat.
Die Mutter
Ich will gleich vorweg sagen, dass meine Mutter und ich uns gut verstanden haben, aber auch übelste Auseinandersetzungen hatten. Dies hier ist also keine Hymne auf meine Mutter, sondern das Ergebnis vieler Kämpfe.
Bei einem Streit hat sie mich einmal als Monster bezeichnet und ich würde sagen, sie hat sehr recht gehabt. Wenn ich um mein Selbstwertgefühl, meine Unabhängigkeit und Freiheit kämpfe, werde ich monströs. Sie war da anders. Zarter, weicher, unsicherer. Und gerade damit hat sie mich zu einer Kämpferin gemacht. An ihr musste ich mich abarbeiten. Doch neben diesen Kämpfen und Auseinandersetzungen gab es auch Bereiche, in denen sie mich gar nicht beeinflussen wollte. Das fand ich am spannendsten. Wenn sie etwas gemacht hat, das ich nur beobachtet habe und so lernen konnte. Das war ganz besonders in diesen drei Bereichen der Fall:
- Literatur
- Musik
- Beziehung & Muttersein
Literatur & Lesen
Meine Mutter hat viel gelesen. Vor allem Literatur. Viel Literatur. Keine Schmöker, die kamen überhaupt nicht vor. Aber auch Sach- und Fach- und wissenschaftliche Bücher.
Schreiben war für sie Kunst, und Lesen hieß, Kunst zu wertschätzen. Mit Respekt für eine gute Sprache, für intelligente Gedanken, für tiefgehende Emotionen, für Offenheit und eine Stellungnahme in der Welt. Lesen hieß zu wachsen. Von ihr habe ich gelernt: Ein gutes Buch ist ein Kunstwerk. Die Autor*ìn muss ihr Handwerk beherrschen, doch sie ist hauptsächlich Künstler*in und damit auch erste künstlerische Instanz für ihr Werk.. Ändere bitte dies – weil es sich besser verkauft//uns nicht gefällt//wir es nicht mögen – war für sie undenkbar. Zu einem guten Buch gehört eine Autor*in mit einem starken Rückgrat und einer klaren künstlerischen Vision.
Und das habe ich nicht nur bewundert, sondern sofort verstanden. Wenn die Künstler*in nicht den Mut und die Kraft hat, für ihre Ideen einzustehen – wer dann?
Meine Mutter ist auch diejenige gewesen, die mit mir zur Bibliothek gegangen ist, um mir meinen ersten Bibliotheksausweis ausstellen zu lassen. In die heiligen Hallen. Sie hat mich zur Vielleserin gemacht hat – drei Bücher am Tag.
Durch meiner Mutter habe ich gesehen, dass mit und durch Bücher alles möglich ist. Dass man sich mit dem Wissen und den Erkenntnissen, die in Büchern stecken, die Welt erobern kann.
Ich habe auch mitbekommen, wie sie mit Mitte 40, verspätet ihr Studium beendet und ihre Doktorarbeit geschrieben hat. Immer umgeben von einem Stapel Bücher. Überall Spuren vom Thema. In, durch und mit Büchern kann man alles erreichen. Damit war meine Mutter besser ausgebildet als mein Vater, der seine Doktorarbeit nie beendet hat. Allerdings ist er Professor geworden und sie blieb nur Dozentin. Auch das eine interessante Beobachtung.
Schreiben
Etwas später wurde mir klar, dass meine Mutter nicht nur viel gelesen, sondern auch einmal selbst geschrieben hat. Ich weiß nicht, wann sie mir ihre Gedichte gezeigt hat. Huschig, eigentlich fast im Vorübergehen und mir wurde klar: Es gab ein Leben vor mir. In einer kleinen Studentenbude mit einer Kofferschreibmaschine und der Ambition, irgendwann mal einen Roman zu schreiben.
Und es gab dieses kleine Büchlein mit dem Schloss, das ich jetzt geerbt habe, mit ihren Gedichten. Okay, die kann man also selbst machen. Wie Marmelade einkochen und Pullover stricken. Wie Fahrradreifen flicken und Glühbirnen auswechseln.
Man kann selbst Gedichte schreiben.
Selbst Bücher schreiben. Und das war die größte Ermunterung. Ich wollte nie Schriftstellerin werden. Aber nicht, weil ich es mir nicht zugetraut hätte. Denn der Weg zum Schreiben war immer da, stand immer offen, war möglich.
Oper & Musicals
Alles, was in der Kindheit passiert, nimmt man als normal hin. So ist das eben. Und erst später wird einem klar, dass es anderswo anders ist. Meine Mutter hat Opern geliebt. Regelmäßig wurden Sonntags Opernplatten aufgelegt. Carmen, La Travita, Der Barbier von Sevilla. Oder lyrischer Gesang. Meine Eltern waren beide Musikliebhaber, mein Vater hat Klavier gespielt, mein Mutter fast immer in irgendeinem Chor gesungen. Musik gehörte dazu, doch wurde sie von meiner Mutter besonders zelebriert. Nicht mal eben nebenbei, sondern zur festlichen Stunde. Dann wurde die Platte aufgelegt und zugehört.
Für mich waren Opern gesungene Geschichten. Gesungene Texte auf italienisch oder deutsch. Tragische Geschichten mit großen Emotionen. Vollendeter Gesang. Das war eine erstaunlich andere Seite an meiner Mutter, die doch sonst die Meisterin der Ironie war, einen messerscharfen Verstand hatte und niemals sentimental oder rührselig wurde. Schwarzer Humor, Scharfzüngigkeit. Jane-Austen-like. Manchmal provokant. Aber da gab es eben dieses verletzliche Innenleben, das sich in Musik ausdrückte.
Als meine Mutter und ich einmal zusammen das Musical West Side Story im Fernsehen gesehen haben, war ich vielleicht neun. Und meine Mutter hat geweint. Damals habe ich nicht verstanden, was einen an dieser Geschichte so zu Tränen rühren kann. Aber es hat mich tief beeindruckt, dass ein Musical so tiefe Gefühle bei meiner Mutter, die ich überhaupt nur zwei oder dreimal in meinem Leben habe weinen sehen, auslösen konnte.
Dass Emotionen in Geschichten gehören, sogar unbedingt dazugehören, war nichts, was man mir in der Schule beigebracht hat. Da ging es um Kafka und Sprache und Form. Wie wichtig Emotionen für Geschichten sind, habe ich durch meine Mutter gelernt.
Beziehung, Ehe und Arbeit
Die Beziehung meiner Eltern war gut. Manchmal sehr gut, göttlich, dann auch wieder zerfleischend. Sie haben sich sehr geliebt, Liebe auf den ersten Blick, in Göttingen im Vorlesungsaal, dazu eine starke körperliche Anziehung, ein Sturm. Meine Eltern waren Gegensätze und die Beziehung ein wilder Mix.
Es gab ein intellektuelles Gleichgewicht, doch obwohl meine Eltern geistig und intellektuell ebenbürtig waren, gab es keine Gleichberechtigung. Und das lag weniger an meinem Vater (obwohl der auch ein Macho sein konnte), als an der Gesellschaft, der Situation in den 60er Jahren, an der Struktur von Ehe- und Familienleben.
„Kinder kriegen“ war ein Job, den die Frau am besten nebenher erledigte. Unbezahlt, versteht sich. (Erziehungsgeld war damals noch kein Thema und Kindergeld ein Witz). Und wenn die Frau gleichzeitig Karriere machen wollte … dann hatte sie eben zwei Jobs und musste sehen, wie sie das hinkriegte. Mein Vater war Professor, für seine Arbeit zahlte der Staat. Für ihn war es sein Geld, auch wenn er es natürlich in die Ehe gegeben hat. Doch bei einer Scheidung (und davon gab es viel im Umfeld) … hätte er normal weiter verdient und meine Mutter beruflich bei Null starten müssen. Darüber haben wir oft geredet.
Die gesellschaftliche Ungleichbehandlung von Arbeit für die Gesellschaft in einem Job und Arbeit für die Gesellschaft = Kinder bekommen, war ein Problem, das die Ehe meiner Eltern sehr belastet hat.
Meine Mutter war viel zu schlau, das Hausmütterchen zu spielen und auch viel zu lässig. Mein Vater – gelegentlich sehr akribisch – hätte die Küche mit dem Q-Tip geputzt und in unserer Familie stand alles auf Alarm, wenn er „den Keller aufräumen“ ging. Vielleicht wäre er der bessere Hausmann gewesen, aber der Switch hat bei beiden nie funktioniert.
Es war genial, eine solche Beziehung aus nächster Nähe zu studieren. Okay, als Kind studiert man seine Eltern nicht, man wird hin- und hergerockt. Stellt Fragen, versteht Dinge nicht, wundert sich, ist verwirrt. Und oft stand ich auch genau in der Mitte. „Heirate nie!“// Männer sind … was auch immer. // Deine Mutter macht ihren Job nicht. Ich verdiene das Geld und sie … was auch immer.
Meine Mutter hat eigenes Geld verdient, trotz der vier Kindern und einem Haushalt, der ohne männliche Beteiligung bewältigt werden musste. Um vieles hat sie nicht gekämpft, das lag ihr überhaupt nicht. Sie ist aber in eine Frauengruppe gegangen und hat auf ein eigenes Konto bestanden.
Was ich aus all diesen Beobachtungen und Diskussionen gelernt habe: Du musst als Frau unbedingt selbstständig sein. Du musst weiter an deiner Ausbildung arbeiten, auch in der Beziehung/Ehe, auch mit Kindern. Und du brauchst dein eigenes Geld.
Muttersein
Muttertag: Danke, Mama, dass du all das für uns tust! Und nie an dich denkst.
Fuck! Muttertag. Okay, so hätte meine Mutter das nie gesagt. Aber hinter ihrer Stirn, angesichts des Szenarios: Die Kinder übernehmen am Muttertag (gezwungen von deinem Mann) das Frühstück – konnte man es sehen. Muttertag. Bullshit.
Sie hätte gesagt: Ich verzichte auf den Blumenstrauß und die schönen Worte, ich will einen Mann, der kapiert, dass Kinder haben auch sein Job ist. Und, nein, Geld verdienen ist nur ein sehr kleiner Teil davon. Ich will einen Staat, der kapiert, dass es mit Kinder- oder sogar Erziehungsgeld nicht getan ist. Weil man keine mündigen und intelligenten und liebevollen Staatsbürger heranziehen kann, wenn man auf dem Zahnfleisch läuft. Vier Kinder, die ersten drei innerhalb von vier Jahren (auf dem Bild die ersten drei).
Die (Über-)anstrengung meiner Mutter als Mutter in diesem Job, der ja im Grunde gänzlich von der Anerkennung des Partners abhängt und in der Regel in der Pubertät auch noch von den Kindern belächelt wird, habe ich sehr genau registriert. Feminismus passierte für mich dort. Vorort. Nicht in irgendwelchen Seminaren oder Panels, wo Feministinnen Vorträge hielten. Oder halten. Nicht in theoretischen Diskussionen, die vielleicht auch wichtig sind, aber sehr oft an der Realität vorbeigehen. Ich lernte: Hier muss sich etwas ändern. Auch die Frauen selbst, die sich ihrer Macht und Stärke bewusst werden müssen.
Meine Mutter
Meine Mutter war als Mutter: Genial. Das habe ich erst später begriffen. Vorher habe ich die liebevolle gemachten Pausenbrote vermisst. Die herzige Umarmung, wenn ich zur Schule ging, das Dauerlächeln, die Nettigkeit, die anderen Müttern offenbar so leicht fiel.
Erst als diese Familien und Ehen zerbröselten, das größere Bild sichtbar wurde, habe ich begriffen, wie wertvoll ihre Erziehung war. Dass sie mich in Ruhe gelassen hat, mich niemals bewertet, herausgeputzt oder bemuttert hat. Und mich schon gar nix ht heruntergeputzt hat. Dafür hat sie mir etwas sehr Wichtigeres mitgegeben:
Sei so, wie du bist. Bleib so, wie du bist. Kümmere dich nicht um die Menschen, die dich auf Grund von Angst maßregeln oder zurechtweisen wollen. Geh deinen Weg. Mach dein Ding.
#lebendig
Auch, wenn meine Mutter immer gesagt hat, sie hätte nie richtig gelernt, glücklich zu sein, konnte sie leben. Genießen. Gutes Essen und Wein. Mit Käse. Und Reisen und Kunst, Theater, Konzerte. Diskussionen und Gespräche und Bewegung.
Und wenn ich an sie denke, dann denke ich: #lebendig.
Podcast
Es gibt eine Podcastreihe zu den 33Frauen auf dem Literatur Radio Hörbahn. Jeder Blogbeitrag wird um einen Podcast ergänzt. Den Podcast zu diesem Beitrag findest du hier.
IPodcastlse-Charlotte Kaufmann
1 Comment
Hannes Bongard
11. Juni 2020 at 23:01https://www.astrobroker.de/bio/ilse-ch-bongard-demokratie.pdf