Marseille 2013
Wenn ich an Marseille denke, dann fällt mir ein guter Rat ein, denn man mir dort bei meinem letzten Besuch vor fast zwanzig Jahren gegeben hat: Lass dein Auto offen, dann musst du kein neues Türschloss kaufen, wenn sie es aufbrechen. Die Stadt war dreckig, laut und unkontrolliert und alle, die dort lebten, wussten das.
Das erinnert mich an eine andere Geschichte: Während der Sommerferien in Italien sind meine Eltern einmal für einen Tagesausflug mit uns nach Neapel gefahren. Mein Vater fuhr einen Mercedes, den er als Gebrauchtwagen von einem Verwandten übernommen hatte. Wie das so war, saßen wir vier Kinder unangeschnallt auf dem Rücksitz und quollen aus dem überhitzten Auto, als mein Vater irgendwo parkte, damit wir zu Fuß die Stadt erkunden konnten. Kaum hatten wir uns wenige Meter von dem Auto entfernt, rannte eine Gruppe von kleinen, barfüssigen Jungs auf das Auto zu und montierte die Radkappen ab. Mein Vater unternahm einen halbherzigen Versuch, die Sache zu verhindern, doch die Jungs waren schnell und gnadenlos. Sie trugen die Radkappen vor unseren Augen davon. Das war ihr Revier, wer seinen Wagen hier abstellte, war selber Schuld.
Neues und Altes
Zu dieser Art von Orten habe ich ein zweigeteiltes Gefühl: Ich finde sie faszinierend und erschreckend zugleich. Ich weiß, es sind die Orte, die man als Künstler unbedingt besuchen muss, äußerlich und innerlich, aber es kostet mich immer ein wenig Überwindung. Also wieder nach Marseille. Doch die Stadt hat sich verändert. Sie ist sauber und aufgeräumt geworden, sicher und fast ein wenig langweilig? Marseille ist als Kulturhauptstadt 2013 sauber gemacht worden. 600 Millionen Euro waren dafür nötig und natürlich sind viele Probleme der Stadt … aber das nur am Rande.
Denn ich genieße das neue Marseille und die 600 Millionen sind gar nicht schlecht angelegt worden. Nicht ganz verstehen tue ich die Villa Méditerranée, die wie ein Sprungbrett aussieht und deren Sockel im Meer liegt. Auch nicht gerade meine Architektur. Das Gebäude daneben, ein vollkommen verglastes Gebäude mit einer Beton(?)Gitterstruktur außen gefällt mir schon besser und genial finde ich, dass man über eine Stahlbrücke noch zur mittelalterlichen Festung Saint-Jean gelangen kann.
Hier ein Video, bei dem man 4 Minuten lang zu Musik um die drei Gebäude fliegt. Mal abgesehen davon, dass eine mittelalterliche Festung einfach unwiderstehlich ist, wenn sie mit moderner Architektur aufgemöbelt worden ist, gefällt mir das MuCem (Musée des Civilisations de l’Europe et de la Méditerranée), entworfen von Rudy Ricciotti, einem Marseillaiser Architekten, am besten. Wenn er über das Projekt spricht hat man sehr stark das Gefühl, dass Avandgarde sich gerade in der Architektur ereignet.
Das Panier
Ich habe die beste Stadtführerin, die man sich denken kann, die mich vom alten Hafen in Marseille, zur Festung, über die Stahlbrücke in das MuCem führt. Als die Sonne untergeht und der Himmel auf einmal rosa wird, kommt es mir wie eine großartige Inszenierung vor. Ich stelle fest, dass ich durchaus Höhenangst habe, als ich über die Hängebrücken hinter der Fassade um das Gebäude laufe. Und dass ich gerne eines der vollkommen verglasten Büros hätte, in denen man die Leute bei der Arbeit beobachten kann. Nur ein zarter Vorhang Richtung Meer, der die Sonne etwas abhält. Da können freie Ideen entstehen. Das ist das neue Marseille. Für das Alte muss die Sonne vermutlich erst ganz untergehen. Halt deine Tasche fest und pass auf Motoradfahrer auf, sagt meine Freundin, als wir in den kleinen Gassen des Panier unterwegs sind. Okay … mehr davon später.
1 Comment
LIPPSTREU
8. November 2013 at 12:56Ein schoner Beitrag zu Marseille, ich liebe das Video von oben aus !
Vorgestern habe ich gelernt, bei meinem Weg zum Flughafen von Marseille, in den Staus steckend, dass Marseille die Stadt in Europa ist mit den meisten Staus (mit Ausnahme von Moskau)…. und soeben, das heisst heute wurde beim Besuch des franzosischen Premierministers in Marseille beschlossen, 3 Millarden Euro fur Marseille zu investieren, davon 2.5 Milliarden fur den unterirdischen Bahnhof St Charles, neue U-Bahnlinien und einen Zug bis zum Flughafen….